Leseproben
Titel: | G'SCHICHTEN AUS TULLNERBACH UND PRESSBAUM |
*Frau Rottensteiner: *Ich bin die Schwester von Hedi Rapold, aber 13 Jahre
älter als sie. Ich wohne nach wie vor im Elternhaus, das oberhalb des
Rapoldhauses liegt. In die Schule bin ich in die Schulgasse im Irenental
gegangen. Gemeinsam mit den Walter-Kindern von der Tischlerei aus der
Waltergasse habe ich die Schulbank gedrückt. Es war eine achtklassige
Volksschule, Hauptschule habe ich nicht besucht. Frau Lehrer Pleban
unterrichtete uns in der 3. und 4. Klasse. Mein Vater, 1901 geboren, hat
hier ebenfalls schon die Schule besucht. Auch seinen acht Geschwistern
wurde der Unterricht dort erteilt. Damals war Herr Oberlehrer Maller, der
Vater des Bürgermeisters Maller, an der Schule. Auch OL Franzl, der Vater
des jetzt erst vor kurzem verstorbenen Lehrers Franzl, hatte hier sein
Lehramt ausgeübt. Professor Lux, seines Zeichens Pfarrer, lehrte uns
Religionserziehung und war Pfarrer im Irenental. Ich selbst bin sehr gerne
in die Schule gegangen.
Da meine Eltern eine kleine Landwirtschaft mit einigen Kühen betrieben,
wartete mein Vater täglich nach der Schule auf mich, damit ich ihm helfen
konnte. Beim Heumachen wurde jede nur erdenkliche Hilfe benötigt. Da musste
ich die Ochsen beaufsichtigen, damit sie nicht auf und davon gingen.
Die Winter früher waren schrecklich kalt und schneereich. Kleidung, wie sie
die Kinder heute haben, kannten wir nicht, weder Stiefeln noch Anoraks.
Aufgefrorene Finger und Zehen waren an der Tagesordnung. Die kargen Zeiten
hatten zur Folge, dass sehr viele Kinder nur trockenes Brot zur Jause mit
bekamen. Selbst die Bauern hatten es nicht dick. Mutter hat etwa mit den
unreifen, grünen Äpfeln Kompott hergestellt, das sie mit Sirup süßte. Der
Sirup war aus Zuckerrüben zubereitet. Dazu gab es Polenta, die früher als
„Armeleuteessen“ galt. Vater war nicht eingerückt, denn Herr Walter war
Ortsbauernführer und in dieser Eigenschaft hielt er gottlob seine Bauern
aus dem Ort zurück. Erinnerungen an die Kriegszeit sind mir nicht erspart
geblieben. Vor allem entsinne ich mich der Bombardements und der
Tiefflieger. Die Westbahnstrecke war Anziehungspunkt für Bombenabwürfe. Hin
und wieder haben wir es ordentlich krachen gehört. Wenn ich von der Schule
nach Hause ging, kamen schon hin und wieder die Tiefflieger angerauscht und
wir mussten uns in die Straßengräben flüchten. Einmal ging ein Flugzeug in
Flammen auf, das habe auch ich gesehen. Oberhalb der Familie Klein sind
Bomben abgegangen. Es war eine schreckliche Detonation, Staubfontänen haben
sich über unsere gesamte Siedlung erstreckt.
Während der Besatzungszeit wurde uns ein Lastauto voll Russen einquartiert.
Im großen Zimmer waren die Besatzer untergebracht, den kleinen Raum
bewohnten wir. Es waren sehr anständige Männer, zum Glück keine Mongolen,
denn die waren Barbaren. Bei Frau Buchner hatten sich die Soldaten
verköstigt und bei uns wurde geschlafen. Zu essen gab es sehr wenig, was
wir besaßen, holten sich die Besatzer. Die Kriegszeiten waren in dieser
Beziehung leichter zu ertragen, als die Nachkriegsjahre. Während des
Krieges durften wir immerhin einige Stück Vieh halten, die wir mit
niemandem sonst teilen mussten. Außerdem war ein Gemüsegarten unser Eigen.
Auch Obstbäume standen genügend herum. Nach dem Krieg hingegen gehörte uns
praktisch unser Eigentum nicht mehr. Obst wurde konfisziert, das Fleisch
von den Russen beschlagnahmt, der Gemüsegarten war verwildert. Milch war
keine mehr vorhanden, weil die Kühe weg waren. Zwei trächtige Kühe standen
zwar noch im Stall, aber sie gaben keine Milch. Ein Ochse wurde für die
notwendigen Arbeiten auf dem Feld benötigt. Lediglich eine Ziege gab Milch.
Mutter war sehr traurig, als die Russen alles nahmen, und zuletzt auch noch
das einzige Schwein im Stall erschossen. Sie weinte bitterlich, da sagte
ein Soldat zu ihr: „Alles wird wieder kommen, Muhkuh und Schwein“. Von
einem Bauern haben die Besatzer einen Ochsen beschlagnahmt und mitgenommen.
Drei Mal insgesamt ist das Tier ausgerissen und zum Bauern zurückgekehrt.
Dann haben die Besatzer aufgegeben und das kluge Rindvieh beim Landwirt
belassen.
Ich war 40 Jahre lang Organistin in unserer Irenentaler Kirche. Das
Orgelspielen habe ich mir selbst beigebracht. Ich konnte zwar Klavier
spielen, Herr Klein hat mich in dieser Kunst unterwiesen, aber durch die
schwere Arbeit zu Hause bekam ich sehr „schwere Hände“, mit denen das
Orgelspiel auch nicht gerade leichter wurde. Ich kann mich noch erinnern,
wie oft ich schreckliche Schmerzen in den Armen hatte, trotzdem habe ich
mich zum Orgelspielen gezwungen.