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Leseprobe zum Buch "BERGLER G'SCHICHTEN II - Wenn Bilder sprechen"

Informationen
Titel:BERGLER G'SCHICHTEN II - Wenn Bilder sprechen
Details zu "BERGLER G'SCHICHTEN II - Wenn Bilder sprechen"
Leseprobe:

 *Stefanie Bartl,* *geboren 1948 in Eisenstadt-Oberberg, wh. Neusiedl/See*


Auch die Nachkriegsgeneration, zu der ich zähle, war größtenteils sehr arm.
Wir litten zwar nicht Hunger, aber aus dem Vollen konnten wir ganz und gar
nicht schöpfen. Leckerbissen kamen lediglich alle heiligen Zeiten auf den
Tisch. Kleidung hatte ich nur getragene, entweder von meiner Schwester, die
ein Jahr älter ist als ich, oder wenn wir Glück hatten, von Leuten, die
sich diese bezahlen ließen, auch wenn sie wohlhabend waren. Stolz war ich
etwa auf einen neuen Rock, der aus einer gewendeten Anzughose meines Vaters
– dunkler Nadelstreif - geschneidert wurde. Nähen zu lassen war immer noch
billiger, als neu zu kaufen. Die Freude währte nur so lange, bis eine
Mitschülerin mich fragte: „Neuer Rock von der Hose Deines Vaters?“ Nicht
nur die Freude war dahin, ich schämte mich zusätzlich für etwas, wofür ich
nichts konnte. Das Gefühl von Scham begleitete mich bis ins Teenageralter.
Weder meine Eltern noch meine Lehrer unterstützten mich, indem sie mir oder
auch meinen Geschwistern erklärt hätten, es wäre kein Grund vorhanden, sich
seiner Armut zu schämen, wenn sie von Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit
begleitet ist. Meine Eltern waren arbeitsame und redliche Leute, deren
Hilfsbereitschaft eine Selbstverständlichkeit war, ebenso wie
Gastfreundschaft, trotzdem nicht viel da war. Heute überfällt mich noch
Traurigkeit, weil sich durch das Unverständnis unseres Umfeldes meine
Kindheit um einiges schwerer gestaltete.

Als Kind hatte ich ab und zu Gelegenheit, mir ein paar Groschen zu
verdienen, wenn unser Nachbar mich am Sonntag bat, ihm vom Gasthaus Mayr
Bier oder Sodawasser zu bringen. Seine Kinder waren damals noch zu klein,
um für diese Tätigkeiten in Frage zu kommen. Dem Nachbarn ging es
finanziell weit besser als meinen Eltern und sein Anstand gebot ihm, für
mich ein faires Trinkgeld springen zu lassen. 50 Groschen, allenfalls auch
mehr, bedeuteten uns eine fürstliche Belohnung, auch wenn ich dafür beinahe
eine Stunde unterwegs war. Gerne wäre ich in dieser Zeit zu mehr
Botengängen dieser Art herangezogen worden. Zu meinem Leidwesen gab es
jedoch auch drei Neffen, welche er natürlich damit öfter betraute, als mich
oder meine Geschwister.

Eine andere Nachbarin hingegen war nicht nur unfair, sondern darüber hinaus
neidig. So schickte sie mich etwa an einem heißen Sonntagnachmittag um zwei
Flaschen Bier und eine Flasche Soda, da sie überraschend Besuch bekam. Ihre
Kinder wären alt genug für diese Tätigkeit gewesen. Doch Nachbarskinder,
die sich nicht abzulehnen getrauten, waren wohl in ihren Augen für diese
Dienste besser geeignet. So rasch ich konnte lief ich ins Gasthaus, um bald
wieder mit den anderen Kindern spielen zu können. Auf dem Heimweg wurde ich
auf eine Weise belohnt, die mich glauben machte, das glücklichste Kind auf
der weiten Welt zu sein. Das spielte sich folgendermaßen ab:

„Ich hatte etwa zwei Drittel des Weges schwitzend mit der schweren Last
geschafft. Vor mir ging ein Liebespaar, das mir entfernt bekannt war.
Damals fand ich die junge Frau nicht sonderlich attraktiv, heute denke ich
darüber anders. Ihre extravagante Erscheinung unterstrich sie noch mit
durchsichtigen hochhakigen Stöckelschuhen, wie meine Schwestern und ich es
vorher schon einmal bei ihr sahen. Damals dachten wir, die Schuhe wären aus
Glas, da in den Absätzen sogar Blumen durch schimmerten Auch an diesem
Sonntag trug sie dieses Schuhwerk. Ich fühlte mich daneben wie Aschenputtel
aus dem gleichnamigen Märchen, wie ich so hinter dem Paar herging. Sie
wanderten umschlungen, als ich ansetzte, an ihnen vorbei zu laufen. Da
sprach mich der Mann an: „Du Kleine, willst Du?“ und streckte mir ein
angebrochenes Sackerl mit den herrlichsten Köstlichkeiten entgegen. Es
waren Schokoladebonbons, die das Buffet des Haydnkinos vor den
Vorstellungen anbot. Immer wenn ich diese Süßigkeiten dort sah, träumte
ich, einmal ein einziges Stück davon kosten zu dürfen. Und plötzlich bot
mir jemand ein angebrochenes Packerl an. Was musste ich dafür denn tun,
durchzuckte es mich schlagartig? Ich hätte alle möglichen Arbeiten
angenommen, auch wenn der ganze Sonntag drauf gegangen wäre. Meine Augen
fixierten diese Bonbons durchdringend. In ansprechenden Farben leuchteten
sie durch die Cellophantüte. Mit weißer Schokolade überzogene
Köstlichkeiten mischten sich mit anderem Zuckerwerk in sämtlichen
Brauntönen. Dunkle Schokolade, rosafarbene und cremefarbene Bonbons mengten
sich dazwischen, während mir die männliche Fee dieses Säckchen darbot.
Ungläubig, dass auch nur irgendjemand diesen köstlichen Konfekt verschenken
wollte, blickte ich zaudernd zu ihm auf. Das Paar sah mich freundlich an,
lächelte und sagte gleichzeitig: „Na, nimm schon, oder willst Du etwa
nicht?“ Meine Hand schoss nach vor und schneller als der Gönner denken
konnte, war das Päckchen zu mir übergewechselt. Ich wollte doch nicht
riskieren, dass er es sich noch überlegen würde. „Danke, hauchte ich
glückselig. „Gib` Deinen Geschwistern auch etwas davon.“ Offensichtlich
kannte er unsere Familie. Ich lief weiter, drehte mich alle paar Meter um,
ob diese beiden Menschen noch hier waren, oder ob ich einem Traum
aufgesessen wäre. Als ich weit genug entfernt war, entnahm ich ein mit
Schokolade überzogenes längliches Bonbon, steckte es in den Mund, schloss
die Augen und lutschte vorsichtig und genüsslich daran, um ja lange etwas
davon zu haben. Nie zuvor in meinem Leben hatte ich so etwas Köstliches je
gegessen. Fast wie auf Wolken schwebte ich nach Hause und erneut dachte ich
an das Märchen vom Aschenputtel. Diesmal besaß *ich* den gläsernen Schuh!

Ich erinnere mich noch klar an das unfreundliche, fast feindselige
Verhalten der Nachbarin, die ohne Dank die Getränke nahm, das Wechselgeld
zweimal zählte, und mich verletzend um die Herkunft meines Geschenkes
ausfragte. Als ich ehrliche Rede und Antwort stand, ließ sie mich ihre
tiefen Zweifel darüber spüren. Dies tat mir weh und hat das angenehme
Erlebnis ein wenig geschmälert. Doch noch vor ihren Augen nahm ich sowohl
zornig als auch enttäuscht ein weiteres Bonbon heraus, steckte es provokant
in den Mund, drehte mich um und ging grußlos davon. Hier hatte erstmals
mein Ärger vor meiner anerzogenen Scheu gesiegt. Auch meine Geschwister
profitierten von meinem Süßwerk.“

Heute weiß ich, dass es sich bei den länglichen Bonbons aus kandierten
Orangenschalen, überzogen mit feiner Schokoglasur, handelte. Deshalb
scheint es nicht verwunderlich, dass ich dieser Art von Rohkost noch immer
verfallen bin.

Manchmal gelingt es mir auch heute noch, den unbeschreiblich köstlichen
Geschmack auf der Zunge zu spüren. Dann fühle ich mich wieder als jenes
kleine, scheue Mädchen von einst, dem die Erinnerung ein verzücktes Lächeln
auf sein Gesicht zaubert.