Leseproben
Titel: | Sommerpotpourri |
Lesprobe aus der Anthologiereihe Sommerpotpourrie, erschim AAVAA-Verlag Berlin: Einer meiner Beiträge "Das Wandern ist des Müllers Lust"
DAS WANDERN IST DES MÜLLERS LUST
Wir wandern gerne, zu manchen Zeiten auch viel.
Jährlich steht eine Wanderwoche in den Bergen auf unserem Urlaubsprogramm. Diese Ertüchtigungswoche ist zum festen Bestandteil unseres Lebensplanes geworden.
Ausgerüstet mit sämtlichen Wanderkarten der näheren und ferneren Umgebung, vereinen wir uns mit „Müllers Lust“. Meistens sind wir der besseren Unterhaltung wegen mit mindestens einem befreundeten Ehepaar unterwegs.
Anfangs sind die Rollen noch klar verteilt. Den Männern obliegt die diffizile Kunst des Kartenlesens, während wir Frauen wie Lemminge hinterdrein laufen dürfen.
Am Abend zuvor wird unter heftigsten Debatten die Route ausgewählt, die infolge Höhenängstlichkeit meines Mannes – manche sprechen bösartig von Manie – nicht ganz so einfach festzulegen ist.
Erstaunte Betroffenheit macht sich dann allemal am nächsten Morgen breit, wenn mitten auf einer schwach ansteigenden blühenden Almwiese der Retourgang eingelegt wird, mit der profanen Begründung der gefährlichen Wegpassagen. Vorsicht heißt offenbar die Devise, bedeuten doch die vom Rindvieh hinterlassenen tiefen Abdrücke im weichen Almenboden schon eine nicht zu unterschätzende, heimtückische Absturz- oder gar Einsturzgefahr.
Um aber einen Almenboden zu erreichen, was offensichtlich schon außergewöhnlichen Mutes bedarf, erfordert es erst einmal die lückenlose Orientierung und Wegekenntnis mithilfe der mitgebrachten Wanderkarten.
In den herrlichen Südtiroler Dolomiten etwa versuchten wir mit einem lieben, uns eng befreundeten Paar als Wandergenossen, unsere Route direkt ab unserem Feriendomizil anzulegen.
Nach etwa einer Stunde Rundumlauf durch den zweihundert Einwohner zählenden Ort kamen wir just an der Stelle unserer gewählten Ferienherberge wieder an, was im Grunde genommen ein Glücksfall war, da wir unsere mittlerweile verschwitzten Klamotten wechseln konnten. Warum sind auch die Wanderkarten so gemein ungenau gestaltet?
Ein neuerlicher Anlauf in die umliegende Bergwelt brachte uns nach einer weiteren Stunde Fußmarsch mitten auf die immerhin schon fünfhundert Meter außerhalb der Ortseinfahrt befindliche Mülldeponie. Von der mit fünf Stunden bemessenen Wanderstrecke hatten wir damit schon zwei Stunden in der kleinen Gemeinde zugebracht, ohne auch nur im Entferntesten unserem Ziel näher gekommen zu sein.
Den beiden Karten lesenden Männern stand der Schweiß der Anstrengung nicht nur auf der Stirn. Noch hielten sie das Navigationszepter fest in ihren Händen.
Die Frühstückspause wurde rigoros gestrichen, dazu reichte unsere verfügbare Zeit nicht mehr aus. Die Pläne wurden einmal gen Süden, dann wieder gen Osten, Westen oder Norden gehalten, allein, der angepeilte Weg blieb unauffindbar.
Zaghafte Äußerungen von uns Frauen wurden mit einer Handbewegung, die nicht nur vollkommene Bedeutungslosigkeit signalisierte, abgetan.
Auf diese grausame Art zum Schweigen gebracht, blickten wir Wanderfeen uns zustimmend und stumm an. Wir machten einige Meter kehrt und entschwanden kurzerhand auf den von uns beiden schon längst vorher ins Auge gefassten, ausgesprochen gut markierten, Forstweg. Wir sahen uns nicht mehr um, unterhielten uns fröhlich und angeregt, verzehrten einen frischen, roten Apfel und stapften wohlgemut voran.
Nach etwa einer Stunde Fußmarsch hörten wir in einiger Entfernung hinter uns Rufe unserer röchelnden, vor Anstrengung keuchenden Ehegesponse. Schweiß troff ihnen in Strömen vom Kopf. Das Gesicht rot wie der vor Kurzem von uns vertilgte Apfel, preschten beide heran und schrien wut- aber auch angsterfüllt:
„Seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen worden, ihr könnt doch nicht ganz einfach vor uns losmarschieren, mit eurer pathologischen Orientierungslosigkeit. Was wäre denn, wenn ihr euch verirrtet? Dann hätten nämlich w i r die Scherereien!“
Sprachen’s übernahmen abermals die Führung, und wir beide folgten den Spurensuchern wie die Lemminge.
Noch einige Male durften wir orientierungslosen Frauen schweigsam die exakt markierte Richtung, die uns unserem Ziel näher brachte, einschlagen. Diese etwa fünf Schritte als Lotsen beschreiten, ehe uns bis zur nächsten Weggabelung die Führung kurzerhand wieder entzogen wurde, und uns der Gang hinter unseren Männern beschieden blieb.
Es war trotzdem eine wunderschöne Bergtour, die (M)man(n) abends wohlbehalten, bei gutem Essen und einigen Gläsern Rotwein in unserer Unterkunft noch einmal mit folgenden Worten an uns gerichtet kommentierte:
„Stellt euch einmal vor, ihr hättet uns beide mit unseren hervorragenden Wanderkarten nicht gehabt, wo wäret ihr wohl gelandet?“
Dankbar, verständnisvoll und stumm blickten wir unsere Männer an, die uns armen weiblichen Haschern doch immer wieder den rechten Weg weisen.