Leseproben

"Sie haben nur so viel Schuld, als Sie selbst bereit sind, zuzulassen. Und ich glaube, Sie ließen in diesem Punkt all die Jahre zu viel zu. Sie versuchten sogar, die Schuld, die Ihrem Mann an dieser Situation zukommt, ebenfalls auf sich zu laden. Ihre Schuld bestand einzig und allein darin,   z u    s e h r   geliebt zu haben. Auch das ist möglich.

Dadurch haben Sie Ihre eigenen Bedürfnisse, Ihre eigenen Sorgen, Ängste, Freuden hintangestellt, sie nicht wahrgenommen, sie in einem entlegenen Winkel verbannt, obwohl Sie auch nicht kampflos kapituliert haben. Ganz im Gegenteil. Sie kämpften wie eine Löwin, aber vergeblich", erklärte ihr die Therapeutin.

"Dadurch bemächtigte sich Ihrer noch das Gefühl des Versagens."

"Trägt dann mein Mann Ihrer Meinung nach an dem Desaster die eigentliche und alleinige Verantwortung?", fragte Sonja weiter.

"Auch das kann man so nicht sagen, erwiderte die junge Frau.

"Er trägt Mitschuld, so gefällt es mir besser, denn für Ihren Mann stellte die Abtreibung keine Tötung, wie für Sie dar. Für ihn war es eine legitime 'Tat', wenn sie so wollen. Eine Tat, die das Gesetz und die Gesellschaft akzeptiert und toleriert. Sein Fehlen bestand einzig und allein darin, Ihnen seinen Wunsch und seine Ansichten zu diesem Thema aufgezwungen zu haben, und es letztlich auch zu seinem ureigensten positiven Abschluss gebracht zu haben.

"Aus Liebe töten?", fragte Sonja.

"Ist das ein gerechtfertigteres Motiv als Hass?"